Presently: Sarah Walker, Nelleke Beltjens, Thomas Kemper
Text Presently in German
Die Austellung lauft von Sonntag 20 Februar bis zu Sonntag 17 April 2022. Offen jeder Sonntag und jeder Freitag von 13 bis 17 Uhr, alle andere Tagen nach Verabredung. Mehr auf www.galeriejoli.nl oder Facebook / Instagram von Johan ter Haar.
Schon ein oberflächlicher Blick auf die Arbeiten von Sarah Walker, Nelleke Beltjens und Thomas Kemper zeigt, was Technik und Formensprache angeht, deutliche Unterschiede zwischen ihnen. Die drei Künstler haben sich über viele Jahre hinweg jeweils eigene Auffassungen von Bildlichkeit erarbeitet und entsprechende künstlerische Verfahrensweisen entwickelt. Die drei Personalstile erweisen sich als so originär, dass zwischen ihnen gewiss keine Verwechslungsgefahr besteht. Umso erstaunlicher ist es, zu sehen, wie gut diese drei Positionen in der Ausstellung „Presently“ dennoch zusammenwirken, wie perfekt sie sich gegenseitig ergänzen und bestätigen. Die Gründe dafür sind vielfältig; die auffälligste, sogleich ins Auge springende Ursache dafür ist sicherlich die Tatsache, dass alle drei Künstler Bildlösungen von hoher Komplexität favorisieren. Wer sich in die (tatsächlich oder scheinbar) quadratischen Bildfelder von Sarah Walker vertieft, wird unweigerlich in einen hypnotischen Sog geraten, der sich aus der Überfülle von Formen und Farben, kleinteiligen Strukturen, widersprüchlichen Andeutungen von Räumlichkeit, von Symmetrien und Symmetriebrüchen ergeben. Damit ist nicht nur das Sehen aufs Äußerste herausgefordert, sondern auch seine Assoziationsfähigkeit und Vorstellungskraft des Betrachters. Bei Nelleke Beltjens werden die kreisrunden, aquarellierten Farbflächen ihrer neuen Serie „Suns and Moons of All Times“, die wie Himmelskörper schwerelos im weißen (Vorstellungs-)Raum der Bilder schweben, von zahllosen, staccatoartig aufgereihten Strichen flankiert oder gar durchquert. Dazu finden sich unzählige Schnitte, die den aufmerksamen Betrachter wissen lassen, dass aus dem Papier eine Vielzahl von Fragmenten ausgeschnitten und versetzt wurde. Tatsächlich trägt jede der fünf Arbeiten der Serie Elemente der vier anderen in sich, die untereinander in einem verwickelten Stoffwechselprozess ausgetauscht wurden. Auch die Arbeiten Thomas Kempers erweisen sich als visuell überaus vertrackt. Vor allem fällt der ständige rhythmische Wechsel zwischen monochromen Flächen und Partien ins Auge, die Offenheit, Dynamik und Räumlichkeit andeuten. Mit ihren Kontrasten und dem Spiel von Kontinuität und Diskontinuität von Farben und Formen schaffen sie eine verwirrende, vor- und zurückspringende Bildräumlichkeit, die den Blick des Betrachters in unabschließbare Bewegung versetzt. Seine mit Ölfarbe und Alkyd gefertigten, zudem mit Zerschneidung und Neuzusammensetzung arbeitenden Werke stehen gewissermaßen vermittelnd zwischen der Malerei von Sarah Walker und den Zeichnungen von Nelleke Beltjens.
Was die Arbeiten der drei Künstler untereinander vielleicht noch mehr verbindet als ihr Hang zu komplexen Bildordnungen, ist ihre prozessuale Arbeitsweise. Sie alle arbeiten nicht nach vorgefassten Plänen und vorskizzierten Ideen, sondern überlassen sich einem langwierigen Prozess mit offenem Ausgang. Diese Haltung ist ein wenig dem Schachspiel vergleichbar: Jede Entscheidung, jede Änderung am Bild modifiziert das aktuelle Ganze und macht einen weiteren „Zug“ erforderlich, der darauf angemessen reagiert – und so weiter. Da die Entscheidungen in aller Regel irreversibel sind, erfordert dies Umsicht, eine genaue Beobachtung des jeweils gegebenen Zustandes und ein hohes Maß an Intuition. So entwickelt sich eine Arbeit Schritt für Schritt, reichert sich mit Komplexität und dadurch mit Entscheidungsmöglichkeiten an, bis irgendwann ein Zustand erreicht ist, der sich als stringent erweist und bei dem ein Weiterarbeiten keinerlei Steigerung oder Verbesserung mehr verspricht. Diese Arbeitsweise ist beim aufmerksamen Betrachter zumindest teilweise nachvollziehbar. Man kann nämlich sehr deutlich sehen, wie Sarah Walkers Bilder aus vielen Schichten aufgebaut sind, wie sie gewisse Partien hat stehen lassen, andere aber übermalt hat, sodass sich ein überbordendes, konstruktiv-destruktives Raumgefüge aufgebaut hat. Bei Nelleke Beltjens vermitteln vor allem die Schnitte und Versetzungen, wenn man sie einmal wahrgenommen hat, ein Gefühl für ihre langwierige, minutiöse Arbeitsweise aus Konstruktion und Dislokation. Und bei Thomas Kemper sticht die überaus präzise Anordnung der zurechtgeschnittenen Fragmente ins Auge, aus denen sich seine irregulären, in alle Richtungen zugleich drängenden, das traditionelle rechteckige Bildformat sprengenden Arbeiten aufbauen.
Mit der prozesshaften Arbeitsweise der drei Künstler lässt sich zugleich so etwas wie ein Arbeitsethos erahnen. Denn wer sein Bild in einem aufwendigen, komplizierten Werdeprozess entwickelt und sich dabei von dem leiten lässt, was Wassily Kandinsky einmal treffend als „innere Notwendigkeit“ bezeichnete, muss sowohl Verantwortung gegenüber seinem Werk übernehmen – die einzelnen „Züge“ lassen sich ja nicht zurücknehmen, hier ist praktisch keine Korrektur möglich –, als auch Vertrauen haben. Gemeint ist das Vertrauen darauf, dass sich aus den vielen, je für sich notwendigen Entscheidungen zuletzt ein stimmiges, ein gültiges Werk ergibt, auch wenn es keine Möglichkeit gibt, das Endresultat in irgendeiner Weise zu antizipieren. An diesem Punkt wird der Titel „Presently“ verständlich: In jedem gegenwärtigen Moment gilt es, Entscheidungen zu treffen, den nächsten Schritt zu tun – solange, bis sich aus der unendlichen Fülle der Möglichkeiten die eine Verwirklichung ergeben hat. Im jeweiligen Moment der Betrachtung wird dieser Vorgang dann noch einmal lebendig und als ästhetische Erfahrung aktualisiert.
– Peter Lodermeyer –